Seit wenigen Tagen ist die neue grün-schwarze Landesregierung im Amt. Die politische Marschrichtung hat die Landesregierung unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in ihrem Koalitionsvertrag „Jetzt für Morgen – der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ dargelegt. Doch wie viel Jetzt und Erneuerung steht tatsächlich im Vertrag?
Impulse für den Gebäudesektor
Als Gebäudeenergieberaterverband freuen wir uns, dass die Bedeutung des Bausektors für eine CO2-neutrale, nachhaltige Welt hervorgehoben wird. Auch, dass auf den Weg dorthin der Altbau priorisiert wird und Suffizienzmaßnahmen, wie Umnutzung, Aufstockung, Gemeinschaftswohnen und Nachverdichtung intensiviert werden sollen, erachten wir als richtig.
Als Ausführende, begrüßen wir, dass das EwärmeG überarbeitet werden soll, gerne kooperieren wir mit und in den zuständigen Gremien um ein anwenderfreundliches, klimaschützendes Gesetz zu formen. Einem Landesförderprogramm für Wärmepumpe gegenüber sind wir sehr positiv eingestellt. Wichtig hierbei ist, dass diese auch bei energetischen Sanierungen vermehrt eingebaut werden. Ein großes Problem bei Wärmepumpen ist, dass diese oft unter/bzw. überdimensioniert werden und in der Folge ineffizient arbeiten, dem sollte zügig durch eine Weiterbildungsoffensive begegnet werden.
Die Ausweitung der PV-Pflicht erachten wir als richtig und hoffen, dass diese gemeinsam mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes schnellstmöglich durchgeführt und verbindlich wird. Das Landesklimaschutzgesetz sollte klar definierte Minderungsziele in 5 Jahres-Intervallen enthalten und die Klimaneutralität bis 2040, spätestens jedoch 2045 anvisieren.
Ein CO2-Schattenpreis im Bausektor ist ein gutes Mittel um die Weiterentwicklung des nachhaltigen Bauens zu forcieren. Allerdings muss davor eine einheitliche, verständliche Metrik geschaffen werden, die es den Planer*innen ermöglicht, ohne großen Mehraufwand diesen zu berücksichtigen, ansonsten droht der Sanierungsstau noch größer zu werden. Wir möchten auch anregen den „Ressourcengebäudeausweis“ und den Energieausweis, zu einem kompakten Gebäudeausweis zusammenzuführen.
Neben den bereits genannten Punkten stehen noch weitere Elemente wie eine konsequente Digitalisierung des Bauens (BIM), ein virtuelles Bauamt, spezielle Förderung des Holzbaus im Koalitionsvertrag.
Aus- und Weiterbildungsformate der Zukunft gestalten
Bei dieser Hochglanz-Zukunftsvision steht natürlich die größte Frage des Sektors, „woher die qualifizierten Fachleute kommen sollen“ im Raum. Ohne eine konsequente Aus- und Weiterbildung wird es bei Zukunftsmusik bleiben, insbesondere wenn weiterhin ein Personaldefizit besteht. Dem möchte die Landesregierung durch eine Stärkung des Handwerks entgegenwirken, so soll u. A. Mit dem Programm „Dialog und Perspektive Handwerk 2025“ eine bessere Ausrichtung auf die Handwerksbetriebe stattfinden, die Meistergründungs- und Übernahmeprämien sollen fortgesetzt werden und Handwerksbetriebe dabei unterstützt werden, ihr Angebot zu digitalisieren. Auch sollen die berufliche und akademische Bildung gleichgesetzt werden, in unseren Augen ein überfälliger Schritt, der auch bei der Nichtwohngebäudeförderung zu spät durchgesetzt wurde.
Als Verein ist eine unserer satzungsgemäßen Aufgaben, unseren Mitgliedern durch Schulungen auf künftige Herausforderungen vorzubereiten. So gehen wir gerne gemeinsam mit der Landesregierung den Schritt, um „zum Musterland für nachhaltige Entwicklung zu werden“. Künftig sollen Aus- und Weiterbildung am Transformationsbedarf ausgerichtet werden, die Energieberatung ist erst wenige Dekaden alt und nimmt eine Schlüsselrolle bei der Transformation des Gebäudesektors, EU-weit der größte Emittent, ein. Unsere Mitglieder und andere Energieberatende erarbeiten täglich mit Bürger*innen individuelle Konzepte zur Verringerung ihrer Emissionen und sind dabei häufig die ersten Energiewendeexpert*innen mit denen Privatpersonen in Kontakt kommen. Dennoch ist „Energieberater*in“ bis heute keine offizielle Berufsbezeichnung, obwohl über die Jahre die Beratung immer umfassender und komplexer wurde. Als Vermittler*innen des nachhaltigen Gebäudesektors von morgen, erhoffen wir uns, dass die Landesregierung uns zum einen durch die Bereitstellung von Fördergeldern für Aus- und Weiterbildung, z. B. aus dem ESF und zum anderen unser Anliegen das Berufsbild „Energieberater*in“ bundesweit einzuführen, unterstützt. So können wir ein starker Partner bei der Umsetzung des „Weiterbildungs-Sofortprogramm im Bausektor“ sein. Gerne bringen wir auch unser Praxiswissen in die Entwicklung der „Weiterbildungsbausteine“ im Rahmen der Studie „FutureSkills“ ein. Insgesamt sehen wir, dass den Koalitionspartnern an einem Ausbau der Weiterbildung sehr gelegen ist und die Wichtigkeit für die gesellschaftliche Transformation erkannt wurde.
Klimaschutz unter Vorbehalt
Eine große Gefahr sehen wir darin, dass sämtliche Punkte des Koalitionsvertrags unter Haushaltsvorbehalt stehen und der unmittelbaren Pandemiebekämpfung nachgeordnet werden. In diesem Rahmen erachten wir es, als schädlich an der Austeritätspolitik festzuhalten. Grundsätzlich ist es lobenswert, dass den künftigen Generationen keine zusätzliche finanzielle Bürde zugemutet werden soll, dafür allerdings die Transformationsbemühungen zu reduzieren, zeigt leider, dass die Brisanz des Klimawandels noch immer unterschätzt wird. Mit verspätetem oder ausbleibenden Handeln übergeben wir künftigen Generationen eine weitaus größere Hypothek, als wenn wir jetzt bereit sind, rote Zahlen für eine nachhaltige Zukunft in kauf zu nehmen. Daher sollten auch Coronahilfen unmittelbar an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden. Ansonsten droht der Koalitionsvertrag zur reinen Makulatur zu verkommen.
Einsatz auf Bundesebene
Ein entschieden klimaneutrales, nachhaltiges Baden-Württemberg kann auch ein Leitbild für die Dekarbonisierung ganz Deutschlands sein. Als solches kann Baden-Württemberg über die föderalen Gremien auf Bundesebene viel erreichen. Der GIH-Bundesverband hat erst neulich skizziert, welche Änderungen am Klimaschutzgesetz, GEG und der Förderung vorgenommen werden sollten, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Gebäudesektor pragmatisch umzusetzen.
Suffizienz über den Gebäudesektor hinaus
Während der Suffizienzgedanke ein Leitmotiv des Programms im Bausektor darstellt, ist allgemein ein sehr technokratisches Nachhaltigkeitsverständnis dominant. Wir würden begrüßen, wenn auch im Koalitionsvertrag deutlich aufgezeigt würde, dass technische Innovation zwar notwendig sind, wir aber um ein Umdenken bezüglich der momentanen materiellen Affluenz nicht umhinkommen. Wir benötigen eine Trendwende bei Flächenverbrauch, Zahl und Größe zugelassener Autos, Wohnfläche pro Kopf, etc., nur so kann garantiert werden, dass eine nachhaltige Energieversorgung möglich ist. Denn Nachhaltigkeit bedeutet mehr als CO2-neutral.
Insgesamt sehen wir die Landesregierung besonders im Gebäudesektor auf dem richtigen Weg. Wir hoffen, dass es bei einem Vorbehalt bleibt und keine Bremswirkung sich entfaltet. Auch wir werde unsere Bemühungen erhöhen, uns für ganzheitliche, nachhaltige energetische Konzepte von und für morgen einzusetzen. In diesem Sinne wünschen wir der Landesregierung eine erfolgreiche Legislaturperiode.
GIH Baden-Württemberg Geschäftsstelle i. A. des Vorstands
Die PDF-Version der Stellungnahme können Sie hier herunterladen: GIHBW Stellungnahme Koalitionsvertrag